Sonntag 9. April

Lågåros-Merakhoygda-Vollevatnet

7 Gehstunden, 19 km

 

Um 7:45 Uhr krieche ich aus dem Schlafsack. Langsam stellt sich eine gewisse Aufbruchsroutine ein: Als erstes Kocher anwerfen und den ersten Topf mit Schnee aufsetzen, dann anziehen, frühstücken, zwischendurch räumen, den Schlafsack verpacken und die Thermoskanne füllen etc. Nach dem Frühstück Pulka und Tagesrucksack packen, Jacke, Schuhe, Gamaschen und Handschuh an, und dann ab ins feindliche Leben.

Ganz so feindlich ist es heute nicht, denn der Wind hat nachgelassen, so dass auch der Zeltabbau etwas entspannter vonstatten geht. Über Nacht hat es ca 8 cm geschneit, doch gerade als ich aufgebrochen bin, kommen mir zwei frühe Tourengeher entgegen. Wir halten einen kleinen Schwatz, und dann laufe ich bequem in ihrer Spur Richtung Lågåros-Hütte. Das Wetter bleibt launisch: Mal ist es grau und neblig, dann sieht man die fahle Sonne und manchmal sogar die Horizontlinie. Ich schwanke: Soll ich angesichts des bescheidenen Wetters weiter den markierten Weg nach Sandhaug laufen, oder die geplante Querfeldein-Route südwärts über die Merakhoygda in Richtung Kvenna/Morudalen? Nach einem kurzen Stopp bei Lågåros, es reißt gerade wieder auf, entscheide ich mich für die Querfeldein-Variante. Das Gebiet zwischen Lågåros, Hellevassbu und dem See Mogen im Süden, das ich durchqueren will, ist ein »Bermudadreieck« ohne Übernachtungshütten und markierte Wege. Das Land in diesem Teil der Vidda ist ausschließlich in privatem Besitz, und die Landbesitzer, die sich schon in den 1980ern heftig, aber vergeblich gegen die Einrichtung des Hardangervidda-Nationalparks gewehrt haben, erlauben dem DNT nicht, Touristenhütten zu bauen und Wanderwege zu unterhalten.

Mir soll es recht sein. Es tut gut, die ewigen Birkenstecken, an denen ich in den letzten Tagen entlang gelaufen bin, hinter sich zu lassen. Ich hole das GPS hervor und halte bei Rückenwind schnurgerade auf mein erstes Peilziel, den See Mjagevatn zu. Als ich sein Ufer erreiche, klart es auf, und ich bestaune die ebenmäßige Kette aus Walfischbuckel-Hügeln auf der anderen Talseite. Für den Rest des Tages folge ich dem Fluss Skvetta abwärts zum Vollevatn. Das Flusstal verengt sich zum Teil schluchtartig, und auf der linken Seite verläuft laut Karte quer zum Haupttal ein ca. 30-40m tiefer Canyon, den ich allerdings wegen des Baumbewuchses und den vielen kleinen Felsbuckeln im Gelände nicht ausmachen kann. Ich gehe deshalb zuerst am linken, flacheren Ufer entlang und wechsle ca. 500 Meter vor dem Canyon auf die rechte Seite. Ich muss ein ganzes Weilchen suchen, um sicher durch den Birkenwald, über mehrere Felsstufen bis hinunter ans Ufer und über eine Schneebrücke auf die andere Seite zu kommen. Zum Vollevatnet hin öffnet sich das Tal weit, und ich wandere auf einem der mäandernden Arme der Skvetta noch ein Stündchen weiter durch den lichten Birkenwald. Ich muss ordentlich trampeln, um den hüfttiefen und weichen Schnee mit Skiern zu verfestigen, bevor ich das Zelt aufstelle. Von hier unten sehe ich erst, wie monströs der Canyon ist, den ich vorhin umgangen habe. Die Wände fallen praktisch senkrecht ab. Mittlerweile ist es fast windstill und die Abendsonne scheint. Ich koche zur Abwechslung einmal bei weit geöffnetem Zelteingang und mit Galablick auf das Flussdelta. Um 22.30 ist es sternklar, -11 C° kalt, und das Barometer ist auch gestiegen. Das lässt doch auf besseres Wetter hoffen!

 

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