Di. 11. April 2006

Ugleflottet-Uglevatnet

6 Gehstunden, 18 km

 

Die sternklare Nacht brachte kalte Temperaturen: -22C°. Ich habe nur einen dünnen Satz Unterwäsche an und wache nachts zwei-, dreimal fröstelnd auf. Doch um etwas Wärmeres anzuziehen, hätte ich mich ganz aus dem Schlafsack pellen müssen – brrr! Lieber mache ich mir warme Gedanken. Morgens ist das Wetter wieder umgeschlagen. Es ist völlig neblig, windstill und nur noch -2 C°. Komplettes Whiteout. Statt wie geplant den Pass zum See Ormetjønni zu erklimmen, beschließe ich, weiter südlich durch ein flacheres Nachbartal zu gehen und mich dann über das Hochplateau Saurflottet zu meinem Tagesziel, dem See Uglevatnet, zu schummeln. Um bei dem Nebel in der konturlosen Landschaft den Weg zu finden, gebe ich während des Frühstücks einige Peilpunkte ins GPS ein und stecke den Kompass griffbereit in die Brusttasche. Die Orientierung an markanten Punkten, etwa Berggipfeln am Horizont, ist wegen der miesen Sicht nicht möglich. So nutze ich zur Orientierung kleine Felsen und Steine, die vom Wind frei geweht wurden und plötzlich vor mir im Nebel auftauchen. Immer wieder laufe ich über Moore und Seen, wo selbst diese Wegmarken fehlen. Dann orientiere ich mich an der Richtung der zastrugi (Schneeverwehungen) am Boden oder am inzwischen aufgekommenen Wind selbst, der mir von halblinks in den Rücken bläst. Machmal halte ich den Kompass einfach direkt vor mich, richte die Ski nach ihm aus und gehe aufs Geratewohl. Durch die GPS-Korrektur funktioniert das ganz gut. Gegen vier ist dann die Sonne als fahler Lichtfleck am Himmel zu erkennen, was das Kurshalten sehr erleichtert. Das Gehen im Whiteout hat seinen ganz eigenen Reiz. Landschaft und Zeitgefühl sind gleichsam ausgeblendet und mental bewegt man sich in einem Schwebezustand zwischen äußerster Konzentration und Meditation. Für das Vorankommen ist so ein Wetter paradoxerweise gar nicht schlecht: Mir fällt es leichter, bei solchen Verhältnissen mein Tagespensum zu schaffen als bei Sonnenschein, wenn man ständig nach der Kamera greift, die Landschaft bestaunt und verlockt ist, die Ruhepausen genüßlich auszudehnen…

Der Wind wird immer stärker, das Barometer sinkt, und ich beginne mir langsam Sorgen um den Zeltaufbau zu machen. Sehr langsam fahre ich vom Hochplateau zum Uglevatnet ab. Abfahrten im Whiteout kann man nicht vorsichtig genug angehen. Selbst meterhohe Wechten und Kanten sind von oben nicht zu erkennen, und ein Sturz kann lebensgefährlich sein. Zum Glück ist der eine oder andere Fels freigeweht und dient mir als Sichtanker, so dass ich die Hangneigung ganz gut einschätzen kann.

Ich bin noch etwa 50 Höhenmeter oberhalb des Uglevatnet, und da die Böen immer heftiger werden, fackle ich nicht lange und stelle an der ersten Stelle, die halbwegs geeignet scheint, das Zelt auf. Ein größerer Felsen bietet mir etwas Schutz, trotzdem ist es fast schon zu windig für den Aufbau und es ist gut, dass die Handgriffe inzwischen sitzen. Ich bewahre das Zelt nie in einem Packbeutel auf, sondern wickle es der Länge nach um die Gestängebögen, welche ich nur zweimal teile und zu einem Drittel in den Gestängekanälen lasse. Dieses längliche Paket kommt dann zuoberst in die Pulka. Beim Aufbau befestige ich zunächst das windzugewandte Ende des Tunnels mit Schneeheringen oder den Skistöcken. Dann lauere ich auf eine Pause zwischen den Windböen, wickle das Zelt der Länge nach aus, schiebe die Gestänge hinein und fixiere das andere Ende mit den Skiern. Dazu reicht eine Minute aus. Danach muss man das Ganze nur noch sorgfältig mit Leinen abspannen und rund um das Außenzelt mit der Schaufel etwas Schnee anhäufen, damit sich kein Flugschnee zwischen Außen- und Innenzelt anhäufen kann. Ein Kuppelzelt wäre dagegen bei so windigen Verhältnissen, wie ich sie heute erlebe, von einer Person nicht mehr zu handhaben.

Ich schlafe zunächst unruhig. Der Wind nimmt stetig zu, bis er gegen 23:00 an dem Felsen, hinter dem ich liege, zu heulen beginnt. Ich werfe einen Blick nach draußen auf die Abspannungen, beschließe, dass das Zelt standhalten wird und stopfe mir Silikonstöpsel in die Ohren. So verbringe ich eine geruhsame Nacht, denn kalt ist es nicht.

 

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